Viele fühlen sich überfordert, die Pfade tradierter Geschlechteridentitäten zu verlassen. Darum kommt der Rechtsprechung auch hier eine besondere gesellschaftliche Verantwortung zu - sie gibt vor, auf was Menschen ein Anrecht haben, das sie notfalls auch einklagen können. Dass Neues auch für Gerichte oft schwer zu bewerten ist, zeigt auch der folgende Fall. Hier musste sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) der Frage annehmen, wie mit Änderungen im Personenstandsregister eines Kindes zu verfahren ist, wenn aus dessen Mutter der Vater geworden ist.
Ein Trans-Mann, der vor seiner Umwandlung ein Kind geboren hatte, wollte in dessen Geburtsurkunde nicht als Mutter bezeichnet werden und versucht seit zehn Jahren gerichtlich durchzusetzen, als
Vater eingetragen zu werden. In Deutschland war er vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert.
Im April 2023 wies auch der EGMR seine Beschwerde ab. Es gibt keinen europäischen Konsen darüber, wie Trans-Elternteile im Personenstandsregister des Kindes eingetragen werden sollen.
Deshalb richtete sich der EGMR nach dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) - und genau dort (§ 1591 BGB) wird eine Mutter als die Person definiert, die das Kind geboren hat. Es ist demnach
für einen Trans-Mann rechtlich unmöglich, in einer deutschen Geburtsurkunde seines Kindes als Vater ausgewiesen zu werden, solange sich im Abstammungsrecht nichts ändert.
Hinweis: Grundsatz der deutschen Gesetzgebung und Rechtsprechung ist es, dass Eltern aus Mutter und Vater bestehen. Die queere Community und deren Verbände kritisieren diese Sichtweise schon
länger. Deren Hoffnung auf Novellierung bleibt, denn eine Reform des Abstammungsrechts ist im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vorgesehen.
Quelle: EGMR, Urt. v. 04.04.2023 - 53568/18, 54741/18